Frankreichs Präsident Sarkozy kann sich auf EU-Gipfel nicht vollständig durchsetzen, ist aber dennoch zufrieden mit dem Ergebnis.
Brüssel/Leipzig. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten haben dem Vorschlag von Frankreichs Präsident Nikolas Sarkozy, eine Mittelmeerunion (MMU) zu gründen, beim EU-Gipfel in Brüssel zugestimmt. Sarkozy hatte bereits vor einem Jahr einen exklusiven Club der Mittelmeer-Anrainer unter französischer Führung initiiert. Allerdings ist sein Plan abgeschwächt worden: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzte sich in einem monatelangen Tauziehen mit Sarkozy mit der Idee durch, alle 27 EU-Staaten gleichberechtigt an der neuen Union zu beteiligen.
Der neuen Mittelmeerunion sollen neben den EU-Mitgliedern die Mittelmeer-Anrainer in Nordafrika und im Nahen Osten angehören. Bisher war diese Zusammenarbeit innerhalb des sogenannten Barcelona-Prozesses geregelt. Dieser brachte 1995 die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) hervor. Dieser Dialog stand auf drei Säulen: Sicherheit, Wirtschaft und Kultur. Verschiedene Sicherheits-, Wirtschafts- und Kulturprogramme sollten die Zivilgesellschaft und Demokratie in den Mittelmeer-Anrainern stärken, sowie eine stabile Zone des Friedens und wirtschaftlichen Wachstums schaffen. Die sogenannten MEDA-Programme wurden durch europäische Kredite finanziert.
Inzwischen gilt der Barcelona-Prozess vor allem in Bezug auf seine Sicherheits- und Demokratieziele als gescheitert. Der anhaltende Nahostkonflikt und die Entstehung von islamistischen Bewegungen sind zwei Indizien, die eindeutig die Wirkungslosigkeit des Barcelona Prozesses zeigen.
Im Gegensatz zum Barcelona-Prozess setzt die Mittelmeerunion mit Migration, Terrorismus und Energie neue Akzente. Demokratisierung steht nicht mehr als oberstes Ziel auf der Tagesordnung. Die Abkehr von der ursprünglich geforderten Demokratisierung der südlichen Mittelmeer-Anrainer erklärt Rachid Ouaissa, Nahostspezialist der Universität Leipzig: Die herrschenden Eliten in den südlichen Mittelmeerstaaten seien nicht wirklich bemüht gewesen, die Projekte umzusetzen, da die Förderung von Demokratie und Zivilgesellschaft von ihnen als Bedrohung ihrer Herrschaft empfunden wurde.
Rachid Ouaissa: „Zum ersten Mal zwingen die Europäer ihren Nachbarn kein fertiges Produkt auf, sondern bieten Kooperation.“
Die Mittelmeerunion folge nun eher dem Vorbild der EU, sagt Ouaissa: „Die Staaten bestimmen gemeinsam Themen und Projekte und bilden so Strukturen der Zusammenarbeit wie in der Europäischen Gemeinschaft der 1950er Jahre.“ In der MMU soll die Zusammenarbeit durch ein Sekretariat und eine Präsidentschaft ermöglicht werden, die jeweils aus einem Vertreter eines EU-Landes und Mittelmeerstaates bestehen. Darin liegt für Ouaissa ein entscheidender Vorteil: „Zum ersten Mal zwingen die Europäer ihren Nachbarn kein fertiges Produkt auf, sondern bieten Kooperation und Zusammenarbeit an.“ Dadurch sei auch der Anreiz für südliche Mittelmeerstaaten, sich zu integrieren, größer. Die neue Union funktioniere projekt- und themenbezogen.
Das Ganze habe jedoch auch eine machtpolitische Komponente, so Ouaissa weiter: Zum einen wolle Frankreich seine Position im Mittelmeerraum verbessern. „Die Regierenden im Élysée verfolgen mit Sorge die langsame aber sichere Transformation des Francafrique in Chinafrique“, sagt Ouaissa. Denn nach dem 11. September 2001 stehe Frankreich nicht nur durch verstärkte amerikanische Präsenz im Mittelmeerraum unter Druck, auch wachsendes chinesisches Engagement komme hinzu. Aus diesem Blickwinkel ist Ouaissa erleichtert, dass Sarkozys neues Machtinstrument, die MMU, durch die EU abgeschwächt wurde, denn Frankreich spiele ein gefährliches Machtspiel mit Nuklearanlagen.
Andererseits zeige die Mittelmeerunion ganz eindeutig das Fehlen einer gemeinsamen außenpolitischen Linie in der EU. „Jetzt haben wir den Barcelona-Prozess, die Europäische Nachbarschaftspolitik, die einen Ring stabiler Staaten um die EU herum etablieren möchte, und die MMU,“ sagt Ouaissa, für den es sich dabei um drei unabhängige Programme handelt.
Die Politiker in Brüssel gaben sich unterdessen Mühe, ihre neue Mittelmeerunion als fortgesetzte Linie des Barcelona Prozesses erscheinen zu lassen. Und so nannten sie die neue Union offiziell: „Barcelona Prozess: Union für das Mittelmeer“. Doch auch die Zusammenführung der beiden Programme in nur einen offiziellen Namen will Ouaissa nicht von einer einheitlichen EU-Außenpolitik überzeugen.
Für viele andere Beobachter ist die Mittelmeerunion nur ein neuer Name des alten Barcelona-Prozesses. Sie erwarten nicht viel von der neuen Union. Der französische Präsident hingegen bezeichnete die Einigung auf die abgeschwächte Variante seiner Mittelmeerunion als vollen Erfolg – vielleicht ein Indiz für die von Ouaissa befürchteten machtpolitischen Bestrebungen Sarcozys. Nach dem Lissabon-Reformvertrag und dem Rat der Weisen, der die langfristigen EU-Perspektiven auslotet, sei die Mittelmeerunion die dritte gelungene französische Initiative, sagte Sarkozy ganz ohne Bescheidenheit.
Bei einem erneuten EU-Gipfeltreffen am 13. Juli soll die Mittelmeerunion dann auch offiziell in Paris aus der Taufe gehoben werden. Dann im Sommer also doch noch ein Heimspiel für Sarcozy- seine neue Union mit akzeptablen Abstrichen auf seinem Staatsgebiet geboren.
(Von Carina Pesch/dpa/AFP)
Anmerkung: Der Artikel erschien in gekürzter und leicht veränderter Fassung am 15. März 2008 in der Leipziger Volkszeitung.