Erste Lektionen. Gelassenheit. Freundlichkeit. Entspannung.
Eine indonesische Tankstelle
Davon träumt der Deutsche: Ein Liter Benzin von der Tankstelle kostet ungefähr 40 Cent, Motorrad ausleihen für einen Tag macht 3,50 Euro und eine mehrstündige Busfahrt bekommt man für schlappe 2,50 Euro. Für den gleichen Preis kann man in Deutschland mit den Leipziger Verkehrsbetrieben innerhalb von einer Stunde gerade mal die Stadt durchqueren oder ein Laib Brot kaufen. Auf der indonesischen Insel Sumatra kann man für diesen Preis immerhin Einsechzehntel der langen Westküste hinter sich bringen, das sind etwa 300 Kilometer. Indonesien ist also ein Traum für deutsche Sparsüchtige.
Doch es kann auch leicht zum Alptraum werden. Für besagte Busfahrt sieht der Fahruntersatz wie folgt aus: Vier Räder, keine Stoßdämpfer, der Busboden mit Gepäck zugestellt, Bündel auf dem Dach, klappernde Fenster, durch die bei Regen Wasser spritzt. Die Fenster bieten nicht nur willkommene Aussicht, sie sind auch die Klimaanlage bei über 30 Grad im Schatten und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit – allerdings eine, durch die permanent Mopedlärm knattert und Abgase hinein stinken. Graue Wolken Rus quetschen sich gemächlich durch die Ritzen, während der Bus durch den tropischen Ofen schaukelt.
Eine Sitzreihe in diesem Fahrgestell bietet reichlich Platz für einen gut genährten Europäer, doch nachdem der Bus zwei Stunden auf Kundenfang durch seinen Abfahrtsort gekurvt ist, sitzen mindestens drei Personen auf einer solchen Sitzbank. Diese Sitzbank besteht aus Metallstreben, gebogen, Stoff und Holz, sowie ein bisschen Schaumstoff. Man sollte aber nicht dem Irrtum verfallen, dass der Schaumstoff auf einer 20-Stunden-Odyssee ausreichend Polsterung bietet. Spätestens nach drei Stunden Fahrt bohren sich die Metallrundungen in Po und Rücken. Zu diesem Zeitpunkt liegen aber noch mindestens 10 Stunden Fahrt vor den Reisenden, innerhalb dieser 10 Stunden erwarten sie zumindest ihre Ankunft. Der Abstand zum Vordersitz beträgt etwa 25 cm, also genug Platz auch für Beine eines Europäers. Aber was macht man mit den Oberschenkeln – der Körperteil, der auch noch irgendwie zwischen eigene Rückenlehne und die des Vordermannes passen muss. Am Besten: Anwinkeln. Nachteil: Das Metallgestell an Rücken und Po macht sich deutlicher bemerkbar.
Also, was tun? – Sich darin üben, dass das alles völlig egal ist, Gelassenheit, eine Art Meditation. Die Abgase: nicht gesundheitsschädigend, sondern egal. Der ständige Zigarettenqualm im Bus: nicht krebserregend, sondern egal. Am Besten man steckt sich selbst eine Gudang Garam an, eine indonesische Nelkenzigarette. Dann stört das Non-Stop-Gequalme der Sitznachbarn und der Smog nicht mehr. Zigaretten als Räucherstäbchen verschönern das Ambiente und übertünchen obendrein noch den Geruch von Erbrochenem. Denn die Straßen, auf denen sich der fahrbare Untersatz bewegt, sind weder geteert, noch begradigt. Kurven und Schlaglöcher sorgen für eine ermunternde Fahrt. Die indonesische Popmusik – eine Mischung aus orientalischem Bauchtanzgeschrabbel, Ententanz und Tetrismusik – tut ihr Übriges und hält die Fahrgäste endgültig vom Einschlafen ab. Für 2,50 Euro also ein hartes Stück Arbeit, das man sich da erkauft hat. Es sei denn: Man hat den Anfängerkurs Asien bereits abgeschlossen. Der Fortgeschrittene schaut eine Weile aus dem Fenster, quatscht ein bisschen mit dem rauchenden Sitznachbarn und schläft dann ein. Es ist ihm egal geworden. Das Erlebnis zählt. Das ist das nächste Tetris-Level, die Musik wird schneller, nach Schnulz kommt zügiger Pop.
Während man also gelassen auf seinem Sitz hockend hin und her springt, fragt man sich ab und zu, wie lange die Fahrt eigentlich noch dauert. Ein netter junger Indonesier, der immer ganz lange überlegte, um dann doch nichts auf Englisch zu sagen, hatte seine rechte Hand ausgestreckt und eine 5 gezeigt. Fünf Stunden also? Mag sein, vielleicht aber auch nicht. Wenn man einen Asiaten nach der Dauer von irgendetwas fragt, addiert man zu der genannten Zeit am besten 2 Stunden, zieht dann 4 Stunden ab, addiert 8, zieht 1 ab, addiert 5 und subtrahiert weitere 3 Stunden. Dann dauert das erfragte Etwas bei einer Wahrscheinlichkeit von 62 Prozent ungefähr +/- 7 Stunden der angegebenen Dauer. Das ist die asiatische Grundrechenart. Also, am besten: Gelassenheit. Aus den verbleibenden 10 Stunden, die man erwartet, können auch 15 oder 18 werden. Das weiß man erst bei der Ankunft und dann ist es einem egal geworden oder man ist so müde und verzweifelt, dass man vergisst, nachzurechnen wie lange man auf dieser Busbank hockte, ein Häufchen Elend.
Dann doch lieber die Gelassenheit. Essen wird am laufenden Band von Verkäufern durch den Bus getragen. Man braucht es nur ansehen und es wird einem in die Hand gedrückt oder in den Schoß gelegt. Mit Getränken ist es ähnlich und auch für Unterhaltung ist gesorgt. Denn nicht nur die Sitznachbarn sind neugierig, die Indonesisch-Kenntnisse des Weißen auszutesten. Ab und zu platzt ein Reifen, Pause, Dorfbesuch und auch Gitarre spielende Jungs steigen ständig ein und aus, schmettern ein paar Schnulzen für beinah kein Geld. Mit einem Euro Gesamtgewinn steigen sie dann irgendwo zwischen Wasserbüffeln und Reisfeldern wieder aus. Endlich, denkt man trotz Gelassenheit.
Hat der Pünktlichkeit und Ordnung liebende Deutsche diese Lektionen gelernt, dann kann er die nächste Seite seines Lehrbuches aufschlagen. Lektion Nr. 2: Lächeln auch für Deutsche. Indonesien wird nicht zu letzt durch seine überaus freundlichen und kontaktfreudigen Bewohner zum Paradies. Mit etwas Zeit zum Verweilen und einem Lächeln auf dem Gesicht wird aus dem „Hello Mister“ an jeder Ecke auch leicht eine Einladung zum Tee oder sogar eine zur Übernachtung. „Hello Mister“ ist der Universalgruss für Weiße, für Bulehs. Egal, ob Mann oder Frau für den Indonesier ist alles Weiße ein Mister, und er wird keine Gelegenheit versäumen, ihn mit einem kräftigen „Hello, Hello Mister“ willkommen zu heißen. Schon den Kleinkindern wird das in freudiger Erwartung beigebracht wie bei uns das Winken zum Abschied. Also, am besten: an jeder Ecke Winken, Lächeln und „Hello“ sagen, sonst verstummt der „Hello Mister“-Chor nicht mehr, denn ein jeder hat das Recht auf einen erwiderten Gruß, ein Lächeln und Freundlichkeit.
„Hello Mister, Mister Hello“
Während einer Buspanne. Alles wartet in der Werkstatt auf die Weiterfahrt
Steht der Buleh einmal verwirrt in der Gegend herum, kommen mindestens zehn Indonesier und bieten Wegweisung und Rat. Kennen sie allerdings selber den Weg nicht, bekommt man irgendeine Richtung gewiesen. Macht ja nichts, denn verwirrt stehen bleiben, kann man an jeder Ecke, und es werden sich immer wieder zehn Hilfsbereite finden, mit neuen Richtungsvorschlägen. Das Ganze zehn mal wiederholt und man kommt früher oder später dort an, wo man hin will, oder an einem anderen Ort, der auch schön ist, vielleicht auch schöner. So entspannt sich eine ganz eigene Geschichte, die den Reisenden auf einen Weg führt. Ob es der beste ist? – Wer weiß… aber das ist egal. Viele Reisende sprechen von Selbstfindung. Aber dies ist die Reise auf der ich mich selbst verliere, um viele neue Dinge in meine Taschen zu stecken, die Taschen meines Gedächtnisses, meines Fotoapparates und meines Rucksackes. Wenn ich mich selbst verliere, bringe ich dieses mal vielleicht endlich alle Gegenstände wieder mit nach Hause, mit denen ich wegfuhr. Irgendetwas muss man schließlich diesem Land, das einen so freundlich aufnimmt, von sich zurücklassen.
Und am Wegesrand werden sich bestimmt bald wieder viele Kinderhände nach den Reisenden ausstrecken, Wasserbüffel grasen, Männer rauchend hocken, Frauen in weiße Schleier gehüllt Moped fahren – mit toten Hühnern auf dem Schoss getürmt. Männer mit Moslemkappe auf dem Kopf werden kleine speckige Kinder durch die Gegend schleppen und mich „Tante Shanti(k)“ nennen. Auf Dörfern werden Hochzeiten am Wegesrand gefeiert, Reisfelder mit der Hand beackert und belebte Straßenszenerien werden am Busfenster vorbei sausen.
Bis dahin wehen aber erst einmal gelbe Parteifahnen an Fischerbooten, an jeder verlassenen Palme hängt ein Wahlplakat (denn am 9.4. sind Wahlen), Vulkane erheben sich aus tropischem Dunst, davor spiegelt sich die Sonne im Ozean, Menschen spannen ihr weißes Lächeln über das Gesicht: „Hello Mister“.
Vor dem nächsten Wegstück die Westküste hinauf nach Norden baumel ich noch ein bisschen in der Hängematte am Strand, verschnaufe, genieße die Aussicht auf die bunten Fischerboote und auf verborgene muslimische Liebespärchen, zwischen Palmen bei Sonnenuntergang. Zwischendurch kippe ich mir Wasserkellen zum Duschen über den Kopf, nutze die linke Hand zum Po abwischen und die rechte zum essen, lasse mich um fünf Uhr morgens vom trällernden Muezzin aufwecken, schlafe wieder ein, um dann irgendwann aufzustehen, am Strand entlang zu gehen: „Hello Mister“ rufen die Fischer, die Fische in den schönsten Korallenfarben auf dem Feuer braten. „Hello Mister, where you go?“ „Jalan, jalan“, sage ich, das heisst spazieren.
Fischer am Strand
Sonnenuntergang zwischen Palmen
(Text und Bilder von Carina Pesch)