Rückblick. Düren Hauptbahnhof. Letzter Sommer. Zwei Männer aus Dubai verpassen den Zug nach Jülich. Sie sind ordentlich gekleidet, Anzug, Schlips und Kragen, Schnauzbart und ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht. Auch während sie fluchen, weil der Zug ohne sie los fährt, lächeln sie. Daran, dass der Zug ohne sie und ohne uns los fuhr, konnte auch ihr Lächeln nichts ändern. Also sitzen wir (Niklas, zwei Dubaianer und ich) in der Bahnhofshalle in Düren – jeder weiss, dass Bahnhofshallen nicht zu den schönsten Orten gehören – und fragen die Dubaianer, was um alles in der Welt sie in Jülich wollen. Sie besuchen einen Bekannten, lächeln sie. Wie es ihnen in Deutschland gefalle, fragen wir. Gut, lächeln sie.
Doch der nächste Zug kommt erst in anderthalb Stunden und die Dubaianer werden ungeduldig. Deutschland – und Europa überhaupt – sei alt, dreckig und hässlich, lächeln sie. Ein Dubaianer zeigt auf die Steinplatten am Boden der Bahnhofshalle. Sie sind anthrazitfarben, an manchen Stellen sind helle Flecken im Stein. Der Dubaianer zeigt darauf und sagt: „In Dubai alles sauber, alles neu, alles ordentlich.“ Ich betrachte die Flecken im Stein, immerhin kleben keine hellen Kaugummiflecken am Boden, Düren hat wirklich einen der saubersten Bahnhöfe in Deutschland. Dubai wird vor meinem geistigen Auge zu einer glänzenden Stadt aus Glas, blitzeblank geputzt, vergoldete Scheichs schlendern zwischen Golfplätzen und Wolkenkratzern.
Mit diesem ersten Eindruck aus zweiter Hand fliegen wir am 1. März nach Dubai und landen um 5 Uhr morgens. Am Flughafen hängen Rolexuhren, der Boden ist hell gefliest, große voll automatische Aufzüge aus Glas fahren an gekachelten Wasserfällen entlang. In all der Pracht stehen weiss gewandete Männer mit Kopftuch und schwarzem Ring darauf und schwarz beschleierte Frauen. Schilder weisen auf Gebetsräume hin. Es gibt auch eine Grenzbeamtin. Sie trägt ebenfalls einen Schleier, lose um den Kopf gelegt, und schäkert mit ihren männlichen Kollegen.
Ein Bus bringt uns ins Zentrum, der Fahrer Pakistani, der Mann, der uns den Weg weist, Phillipino. Doch bevor wir den richtigen Bus finden, haben wir den Flughafen ein bis zwei mal umrundet. Die verschiedensten Menschen haben uns auf Nachfrage in die verschiedensten Richtungen geschickt. Das also ist schon wie in Asien: Keine Antwort ist unhöflich und eine falsche immer noch besser als keine.
Im Zentrum angekommen wird klar, ein solches gibt es überhaupt nicht. Der nette wegweisende Phillipino hat uns zu einem Einkaufszentrum dirigiert, sein Name: City Center. Um das Center herum: überall Baustelle. Durch schmale Verschläge wird der Fußgänger um die zahlreichen sechsspurigen Strassen geleitet. Müll liegt herum, jede brachliegende Fläche eine kleine Müllhalde. Das hatten die beiden Bahnhofsdubaianer in Deutschland ver- schwiegen. „Alles sauber, alles neu, alles ordentlich.“ Doch es ist durchaus möglich, dass sie nichts von diesen Straßen und Müll- bergen wissen. Denn arabische Dubaianer sieht man auf diesen Straßen nicht. Hier sammeln gelb gekleidete Pakistani den Müll auf, kümmern sich Inder in grünen Anzügen um die künstlichen Grünanlagen, laufen Malayen, Phillipinos und Nepalis die Straßen entlang auf dem Weg zur oder von der Arbeit.
Mindestens drei Stunden laufen wir in diesem Labyrinth aus Asiaten, Straßen, Hinweisschildern und Baustellen in die falsche Richtung. Eigentlich wollen wir zum Meeresarm, zum Creek, der die Stadt zweiteilt, wo die alten Holzschiffe beladen werden und Leben ist. Doch wir landen bei einer Pyramide mit Sphinxen, Osiris und Co. Die Pyramide ist ein Hotel, ein Shopping Center, eine Flaniermeile, mindestens vier Sterne. Doch alles, was wir wirklich wollen, ist ein Stadtplan von Dubai, damit wir den lauten Straßen und vereinzelten Hotels entfliehen können, auch der Las Vegas-Disneyland-Pyramide und den Müllhaufen entlang der Baustellen. Aber die Geschäfte sind noch geschlossen, in das schicke Hotel trauen wir uns nicht, bestimmt würde man uns nicht einlassen. Was gibt es sonst noch für potentielle Kartenbezugsquellen? Touristenbusse für 200 Dollar fahren hier los und Taxis, die uns ebenfalls zu teuer sind. Moment… – Touristenbusse… die könnten doch… und tatsächlich der freundliche Asiate drückt uns einen Stadtplan in die erwartungsvoll ausgestreckten Hände. Endlich. Orientierung.
Weitere zwei Stunden später sitzen wir am Meeresarm, geschafft, müde von fünf Stunden Umherirren und kurzem Schlaf im Flugzeug. Ein Japaner fotografiert uns, wir essen Orangen, die nicht schmecken und starren auf die Hochhäuser am anderen Ufer, die Holzschiffe davor. Das also ist Dubai.
Es ist zehn Uhr morgens, wir haben noch 18 Stunden bis unser Anschlussflug nach Jakarta, Indonesien abhebt. 18 Stunden diese Stadt zu erkunden – diese Stadt, die das einzige 6-Sterne-Hotel der Welt besitzt, diese arabische Wüstenstadt aus dem Nichts erbaut, diese arabische Stadt, in der uns bisher unter all den vielen Menschen erst eine Hand voll Araber begegnet ist, diese muslimische Stadt, in der verschleierte Frauen Bagger auf Baustellen, aber selten selber Auto fahren.
Wir raffen uns auf, auf die müden Beine, schlendern den Meeresarm entlang: Holzschiffe, reich verziert, Möwen halten Wache, Ausschau über verspiegelte Hochhäuser und Putzkolonnen. Barfüßige Männer, die unter Palmen auf künstlichem Grün die Beine hochlegen, Möwen füttern, in Ecken pinkeln und auf Mauerrändern in Embryonalstellung hockend tratschen.
Und dann: Eine Altstadt – schmale Gassen, kleine Geschäfte, Seidenstoffe, verschleierte Frauen, Handkarren, geschäftig telefonierende Männer in den Stoffläden und manche, die Stoffrollen von einem Ort zum nächsten wuchten. Weiße Moscheen mit Schuhen davor, Muezzin-Gesänge in der Luft, Hähne im Schatten der kargen Sträucher. Die Altstadt wurde vom Designer des Disneyland entworfen, aber die Strassen sind voller Leben. Eine kleine romantische Idylle zwischen Baustellen und Hochhäusern.
Für einen Dirham (wenige Cent) überqueren wir auf einem Abra den Meeresarm. Abras sind flache Boote mit einer langen Bank in der Mitte, die zu beiden Seiten hin, Rücken an Rücken besetzt werden. Abras flitzen beinahe im Sekundentakt von einem Ufer zum nächsten, riechen nach Benzin und haben knatternde Motoren.
Auf der anderen Seite: Hafenleben, wieder Holzschiffe, aber weniger verziert, aus den schicken Restaurant-Schiffen am anderen Ufer sind hier einfache alte Frachtschiffe geworden. Entsprechend geschäftig geht es zu. Fernseher, Staubsauger und Getränkedosen in Paletten werden in den Schiffsleibern verstaut, mit Seilen an Bord gezogen.
Ein kleines Stück weiter ein weiterer Markt, ein Souk, diesmal nicht für Stoffe, sondern für Gewürze, dahinter Ramschartikel, dahinter Gold. In der Gewürzabteilung des Marktviertels treffen wir auf einen Iraner. Er arbeitet an einem Marktstand: Safran, Curry, Anis – Es duftet, eine Farbenpracht für die Augen. Er hat auch Viagra, Kamelöl aus dem Höcker zur Massage und Schokolade, die aussieht wie Edelsteine. An seiner Tür klebt ein Aldi-Aufkleber. Auf deutsch fragt er: „Habt Aldi-Nord oder Aldi-Süd?“ Er weiß sogar, dass Aldi-Süd besser ist, obwohl er noch nie in Deutschland war. Das habe er alles auf dem Markt in Dubai gelernt.
Zwischen den Ramschartikeln hingegen sieht man nicht vor allem Deutsche, sondern Afrikaner, die sich mit USB-Sticks, Elektronik und billigen Uhren eindecken. Zwischen Läden auf dem Gold-Souk zischen immer wieder zwielichtige Gestalten „Fa-k-ed watchhh, hand-bag-sss, Mis-ter.“ Ihre Augen rollen in hypnotisierenden Spiralen, wie die der Schlange Kaa im Dschungelbuch. Sie huschen umher zwischen kleinen Verschlägen, die über und über mit den opulentesten Goldgeschmeiden versehen sind. Unsere Markterkundungen abschließend genießen wir eine Mahlzeit zwischen diesen Goldgehängen, schlängelnden Verkäufern und arabischen Männern: Ein Silbertablett mit Safranreis und Huhn, gegessen wird mit der Hand, laut geredet und gelacht wird mit dem Mund und gestrahlt wird über das ganze Gesicht. Schmunzelnde Augen, weite weiße Gewänder und jeder mindestens drei Handys vor sich auf dem Tisch, natürlich die neuesten Modelle.
Gestärkt machen wir uns auf zur letzten Etappe unseres 23-Stunden-Dubai-Marathons. Strand: hinlegen, dösen, Meeresrauschen und dazu einen Blick auf das einzige 6-Sterne-Hotel der Welt, auf den Burj al-Arab. Hinlegen wird uns nicht verwehrt, zumindest nicht für kurze Zeit, auch das Meer rauscht und der Wind braust. Aber der Blick auf besagtes Hotel ist verhangen – ein Sandsturm verschleiert den Himmel, die Sonne und lässt nur einen Schattenriss des Hotelturmes erkennen. Wie ein graues Segel ragt er in den verdunkelten Himmel. Eine schwarz verschleierte Frau huscht durch’s graue Bild und schon bald vertreibt uns der feine Sandstaub mit brennenden Augen vom Strand. Bis in die Unterhosen hat sich der beinah unsichtbare Sand geschlichen. Wie praktisch wäre doch ein Schleier gewesen, am ganzen Körper zugeschnürt, am liebsten die Augen gleich mit bedeckt.
Sandsturm am Strand: Im Hintergrund die Silhouette des Burj al-Arab
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(Text und Bilder von Carina Pesch)