Lebenslauf

LEBENSLÄUFE GIBT ES VIELE:

Das Exemplar, das in seiner Existenz am weitesten verbreitet ist – der tabellarische Lebenslauf. Irgendwie ist er auch sympathisch, denn er schreibt sich so leicht von der Hand. Geradezu niedlich – ein liebes kleines Ding, dass sich jeder gern im Computerstall hält. Er braucht nicht viel Heu zu fressen und Auslauf nur zu Bewerbungszeiten. Ein paar Mausklicke in meinen Dateien und ich kopiere ihn einfach an jeden beliebigen Ort. Auch hier hin. Klick, Klick:

Tabellarischer Lebenslauf

Jetzt kann man aber durchaus zugeben, dass diese paar Mausklicke und eine Tabelle zwar sehr handlich sind, aber was sagen sie aus? Bin das ich – gesehen durch einen Bilderrahmen aus Daten und Orten? Das ist doch kein Lebenslauf, das ist bloß mein Lauf durch Bildungsinstitutionen. Mit Verlaub: Auch mein ganzer Bildungslauf steht nicht in diesen paar Zeilen. Ich habe mich nämlich auch autodidaktisch, in der Welt und in meinem Leben herumlaufend gebildet. Von überall tropft einem der Bildungssaft in den Mund, man muss ihn nur öffnen. Manchmal schmeckt er übel, manchmal gut.

Also ein weiterer Versuch: Jung-dynamische, aufgeschlossene Lady ist auf der Suche nach sinnhaftem Abenteuer und abendteuerlichem Sinn. Dabei ist kein Berg zu hoch, kein Tal zu tief, Himalaya und Mariannengraben, Giraffe und Ameise. Das Leben ist vielseitig und kein quadratischer Schuhkarton im Vorgarten einer Vorstadt. Möchtest du – Großstädter, Kleinstädter, Vorstädter, Hauptstädter, Randstädter, Mittelstädter, Dörfler, Landwirt, Gastwirt, Industrieller, Unternehmer, Mitnehmer, Einsteiger, Durchsteiger, Worteverdreher, auf-den-Grund-Geher, Frauenversteher, Vorstandsvorsteher und Mutter von sieben Kindern – andere Perspektiven verstehen, verdrehen, gestehen, wiedersehen… dann freue ich mich auf ein Treffen mit dir. Lad’ mich doch auf ein Bewerbungsgespräch ein.

So geht das aber nicht – Kontaktanzeige mit Liebesbriefen.

Jetzt stelle man sich vor: Ich schreibe eine Bewerbung und die Kontaktanzeige da oben reiche ich als Lebenslauf ein. Meine Arbeitsproben sollten dann wohl aus alten Liebesbriefen bestehen. Liebesbriefe zu schreiben, ist eine der schwierigsten Sachen der Welt. Daher sollte das Talent in der schreibenden Zunft nach der Fähigkeit, Liebesbriefe zu schreiben, bestimmt werden. Ein Liebesbrief ist eine Gradwanderung zwischen Kitsch, Drama und Realität. Dabei muss der Gradwanderer aufpassen nicht zu euphorisch-verklärt, nicht zu dramatisch-zugespitzt und nicht zu kalt-realistisch zu schreiben. Jeder Artikel ist ein Liebesbrief mit Akzenten, die zwischen Kitsch, Drama und Realität wandern. Also: Kreuze an: Willst du mit mir gehen? Ja/ Nein/ Vielleicht/ Ich kann nicht mehr folgen.

Klärende Worte zum Schluss:

Es ist schwierig sich selbst vorzustellen. Das gehört zu den schwierigsten Dingen gleich nach Liebesbriefen. Denn um sich selbst vorzustellen, muss man sehr genau wissen, wer man ist. Deshalb sollen vielleicht auch alle Menschen Lebensläufe schreiben, bevor sie irgendwo eine Arbeitsstelle bekommen. Was soll jemand arbeiten, der nicht weiß, wer er ist? Heute arbeitet er als Bauarbeiter, morgen denkt er eine Termite zu sein und übermorgen ist er dann Herr Staatsanwalt. Dabei soll dieser Mensch doch nur eines tun in seinem Beruf: alle möglichen Sachverhalte verständlich darstellen und sie anderen Menschen zugänglich machen. Denn in unserer Welt hat zwischen Frühstück und Schlummertrunk kaum einer Zeit alle wichtigen Informationen aufzusaugen, zu ordnen und in gut verständliche Förmchen zu verpacken. Dabei sind Informationen höchst wirksame Werkzeuge und verschiedene Perspektiven auf diese Informationen können den Werkzeugen einen ganz anderen Schliff geben.

Deshalb beobachte, entdecke, höre, lese, spreche und schreibe ich – nicht nur aus einer Perspektive heraus. Und das ist wohl die beste Vorstellung meines Selbsts und meines Verständnisses der Schreibenden Zunft.

So einfach kann es sein:

Ich entdecke die Welt. Ich decke sie auf, sehe viele kuriose und unverständliche Dinge, möchte sie erklären, verstehen und meine Erkentnisse und Eindrücke weiterreichen. Neue Perspektiven und ein tief gehendes Verständnis der Dinge. Punkt.