Klobesuch. Kuriosität. Arztbesuch.

Die Bergwelt um Bukittinggi

Es ist etwa fünf Uhr morgens in Bukittinggi, eine kleine Bergstadt in Westsumatra. Fünf Uhr morgens – Das merkt man daran, dass es plötzlich unangenehm laut wird. Sämtliche Muezzins der Stadt schmettern ihr „shaablaaaaaaaaaaaaaaaa, shaablaaaaaaaa“ über die Dächer der Stadt. Was für eine angenehme Religion muss der Islam vor Erfindung der Lautsprecher gewesen sein – bedächtig, freundlich und ruhig. Doch jetzt, um fünf in der Früh, überrollt einen allzu leicht Spott und Abneigung gegen diesen Gott, der es gerne hört, wenn seine Anhänger und alle, die zufällig da sind, um fünf Uhr morgens von Geschrei aus Lautsprechern geweckt werden.

Ein guter Muslim soll fünf mal täglich beten und daran erinnert ihn der Muezzin – so weit so gut. In Dubai war das auch erträglich: Die Muezzins sangen fünf mal täglich in vollen Tönen ihren Lobgesang auf Gott, die Menschen strömten in die Moscheen, dazwischen war Ruhe. In Indonesien haben die Muezzins allerdings eine andere Interpretation dieses Brauches gefunden. Sie rufen nicht fünf mal täglich zum Gebet, sondern machen höchstens fünf mal täglich Pause. Die Moscheen bleiben recht leer und selten holt jemand seinen Gebetsteppich heraus. Dieses fehlende Engagement der Gläubigen scheinen die braven Muezzins ausgleichen zu wollen und schreien um so länger und lauter. Aus dem vollen Lobgesang ist unharmonisches Geplärre geworden. Vielleicht ist auch die Qualität der Lautsprecher in Indonesien schlechter.

Das Geschepper und Geplärre, halb arabisch und halb indonesisch, fängt also um fünf Uhr morgens an. Da ich weiß, dass es nicht so schnell wieder aufhören wird, denn der Tag ist ja noch lang, wälze ich mich von einer Seite auf die andere, entscheide, dass es keinen Sinn macht und gehe auf’s Klo. Ein sinnvoller Zeitvertreib, während der Muezzin schreit, Gott sei groß. Mein Darm ist anscheinend nicht groß genug für Indonesien und so hocke ich auf dem Plumpsklo, höre wie einer „allaaaaaaaah“ anschreit und das Pipi läuft mir aus dem Po. Durchfall – wahrscheinlich für meine Gott verfluchenden Gedanken beim Aufwachen. Na schön, denke ich und lasse es laufen. Genug Zeit, um über weitere indonesische Kuriositäten nachzudenken, denn schließlich werde ich wahrscheinlich den ganzen Tag das Klo nicht verlassen, so wie der Muezzin seine Kanzel nicht verlassen und nicht aufhören wird, sein „shaablaaaa, allah“ zu schmettern.

Während er weiter schmettert, bellt ein hässlicher Hund in C-Moll, knattert ein Moped mit ohrenbetäubendem Lärm am Fenster vorbei, es übertönt sogar kurzzeitig den Schreihals aus der Moschee. Dann kommt der Eismann, der sein Wägelchen die steile Straße hinunter schiebt. Ich kann ihn hören, denn sein Wagen spielt eine unangenehm einfache Melodie – auch sie wiederholt sich den ganzen Tag – Tritratrullala. Ein weiteres Moped – knatter. Auspuff heißt auf indonesisch nicht grundlos „knallpott“.

Jetzt dauert es noch ungefähr eine halbe Stunde und Marschmusik wird aus der Schule irgendwo nebenan erschallen. Dazu werden kleine indonesische Mädchen aus Lautsprechern singen, eine gibt den Ton an, die anderen singen nach. Auch dieser Brauch hört sich merkwürdig schief in meinen Ohren an. Indonesien hat entweder unglaublich schlechte Lautsprecher oder unglaublich schlecht singende Menschen. Akustisch ist Indonesien nicht gerade ein Genuss, sondern eher eine Kuriosität.

Der Muezzin – immer noch inbrünstig, ich – immer noch hockend auf dem Klo. Wenn man eine Sprache nicht versteht, kann man manchmal dennoch etwas verstehen. Und so erzählt der Muezzin mir etwas über Ballack, über Merkel und natürlich über Gott. Michael Ballack ist in Indonesien sehr berühmt – auf dem Markt hat sich mir ein Schuhverkäufer als Ballack vorgestellt, „Ballack, Michael Ballack“ und hat gelacht. Dass aber selbst der Muezzin ihn in seine Gebete einschließt – das ist ein Ding. Wahrscheinlich plärrt er der Gemeinde vor, auch Ballack, Michael Ballack, hätte es ohne Allahs Hilfe nicht geschafft. Was aber will er von Merkel? Das kann ich mir nicht erklären und beende meinen Klobesuch vorläufig. Ich werde beim baldigen nächsten Klobesuch weiter darüber nachdenken.

Bei dröhnender Marschmusik lege ich mich geschafft wieder ins Bett. Im Halbschlaf beschäftigt mich der Islam. In Indonesien ist er nicht nur laut und disharmonisch, er will auch nicht so recht hier her passen. Das zumindest ist mein Eindruck, obwohl ich mich doch als Ethnologin mit Urteilen zurückhalte. Also, sagen wir, er ist hier nicht das, was selbst ein aufgeklärter Ethnologengeist sich unter Islam vorstellt, er hat eine ganz eigene Gestalt angenommen. Die Kopftücher der Frauen sehen anders aus, werden anders getragen, manchmal auch gar nicht oder wie ein Modeaccessoire. Selbst Mützen können als Kopftuch getragen werden und manchmal zieht ein indonesischer Papa seiner Tochter zum Moped fahren statt Helm ein Kopftuch auf. In manchen Regionen essen selbst Muslime Schweinefleisch und halten Hunde (beides unreine Tiere im Islam). Einmal haben wir einen Mann gefragt, warum er einen Hund auf seinem Moped spazieren fahre. Der Mann sagte, er brauche den Hund natürlich für die Schweinejagd. Wir fragten: „Aber wofür brauchst du die Schweine, du darfst sie ja gar nicht essen?“ Er sagte: „Ja, die Schweine brauche ich für die Hunde, die müssen doch auch etwas essen.“

Und die ulama (die oberen Religionsgelehrten) haben nichts besseres zu tun als Gütesiegel auf Wasserflaschen zu drucken, die diese als halal, also als rein kennzeichnen. Man stelle sich den Papst vor, wie er das Biogütesiegel verteilt. Die ulama in Indonesien bürgt jedenfalls mit ihrem Namen für die Qualität der Produkte und so ziert ein heiliges Siegel eine Wasserflasche, die SMS heißt.

SMS begegnen einem hier aber nicht nur auf dem Wasser. Das ganze Land ist mittlerweile Handy verseucht. Was dazu führt, dass ich ständig meinen Klingelton von zu Hause höre, was mich hochgradig irritiert. Anfangs habe ich ernsthaft im Rucksack nach dem Ding gesucht, bis ich mitbekam, dass scheinbar alle Indonesier meinen Klingelton eingestellt haben. Sie schreiben aber nicht nur SMS und heben bei meinem Klingelton ab, sie nutzen ihre modernen Handys auch gerne dazu, die Weißnasen zu fotografieren. Dann müssen wir stundenlang mit Schulkindern posieren, denn sie treten immer nur in Gruppen auf, wollen erst alle mit auf’s Bild und dann jeder einzeln und das kann dauern.

Indonesier stehen einfach auf weiße Haut und wenn sie selbst schon keine haben, dann doch wenigstens ein Foto mit Weißen. Manchmal allerdings pudern sich die Frauen ihren hübschen Teint im Gesicht auch weiß und fühlen sich unglaublich schön. Einmal wollte ein junges Mädchen sogar Niklas Nase haben, sie wollte tauschen, weil sie seine Nase schöner fand. Er hat ja auch eine schöne Nase, aber an Stelle einer indonesischen Stupsnase würde sie im Schulmädchengesicht doch eher grob, gross und vor allem viel zu hell wirken.

Um dem ganzen Muezzin-, Schulkinder- und Handy-Trubel zu entfliehen, sind wir ins Harau Tal gefahren. Vorbei an Reisfeldern, in denen Wahlplakate und -fahnen flattern, um Vögel fern zu halten. Moderne Vogelscheuchen. Das ist wirklich mal eine sinnvolle und praktische Anwendung von Wahlkampfmitteln. Hier hilft Politik den Menschen noch ihren Alltag zu bewältigen. Auch wenn sich die meisten Indonesier ansonsten nicht viel von der Politik versprechen.

Zwischen zwei 100 Meter Felswänden, Dschungel, Affen und am Fluss grasenden Wasserbüffeln haben wir einen kleinen hübschen Bungalow bezogen. Ich hatte sehr viel Zeit die schöne Wandgestaltung zu studieren, denn eine fiese Erkältung hat mich nieder gestreckt und außer Kraft gesetzt. So wurde der Klobesuch zu meinem schönsten Abenteuer in Harau. Denn das babyblaue Klo stand an der Rückwand unseres Bungalows im Freien, babyblaue Fliesen darunter, blaue Plane drum herum, darüber Dschungelbäume und Steilwand. Der Körper war beim Klogang überdacht, die nackten Arme und Beine vom Tropenregen besprenkelt. Während ich Löcher in die grünen Dschungelblätter über mir starrte, liefen Affen die Äste entlang. Ein Kleiner folgt einem Großen, tippeltappel, die Äste entlang wie auf einem Laufsteg und hops sind sie aus dem Blickfeld. Nur noch der Regen tröpfelt auf unterschiedlich dicke Blätter und trommelt leise. Bum Buum Bum. Dazu das Pochen im Kopf, die Nebenhöhlen zu.

Als wir zurück nach Bukittinggi kommen, überredet ein Barbesitzer mich, zum Arzt zu gehen. Viel ist da nicht zu erwarten, aber einen Versuch ist es wert. Als wir ankommen ist der Arzt noch Beten, der Schreihals-Muezzin scheppert auch wieder. Nach einer Viertelstunde schlurft ein angefetteter Mann herbei, öffnet eine himmelblaue Holztür an der Bilder von Hautekzemen kleben und stellt sich als Arzt vor. Hinter der Tür verbirgt sich ein kleiner Raum, sehr eng. Er ist über und über mit den widerlichsten Hautkrankheiten bestückt. Von Akne Conglobata bis Lepra und Hautkrebs ist alles dabei. Alle Bilder zeigen nur Frauen und Kinder. Zwischen verschimmelten Riesenbrüsten und aufgedunsenen Babybeinen in feuerrot klebt Werbung für Viagra. Alle möglichen Tinkturen aus Kokosnussöl werden angepriesen.

Der Arzt tut, was auch die meisten Ärzte in Deutschland eher schlecht als recht tun. Kurze Untersuchung, Abhören, Ahh sagen, Augen leuchten. Dieser Arzt achtet allerdings weniger auf Hygiene, tut noch nicht mal so als würde er Interesse an einer Diagnose haben und hört mich nur am Hals ab. Anschließend packt er das Instrumentarium wieder in die gleichen Schüsseln wie zuvor, wahrscheinlich wird er sie beim nächsten Patienten wieder benutzen. Danach stellt er seine Diagnose: „Sie haben Bier getrunken und zu viel Zucker gegessen.“ Er reicht mir eine angelaufene, ranzige Packung Antibiotika. „Das hilft gegen alles.“ Wir sagen „danke“ und „Auf Wiedersehen“, nehmen eine lohnenswerte Erinnerung für zehn Euro mit. Es lebe die Auslandskrankenversicherung.

(Text und Bilder von Carina Pesch)