Der Mönch, der traurig ist, weil er keine Frau hat

Koriyama. „Sometimes I cry and I am often sad“, sagt er. Seine Augen mit den Lachfalten blicken ernst, seine Mundwinkel zeigen zur Erde, er schiebt die Unterlippe nach vorne wie ein schmollendes Kind. Ich frage, warum. Weil er keine Frau mehr habe, sagt er. Er möge Frauen doch so gerne.

Er ist ein Zen-Mönch – keine Haare auf dem Kopf, rundliches Gesicht, buschige schwarze Augenbrauen über ausdrucksstarken Augen, die aussehen, als würden sie immer freudig strahlen. Das tun sie tatsächlich auch, selbst wenn er traurig ist und die Lippe nach vorne schiebt.

Er ist ungefähr anderthalb Köpfe kleiner als ich, kräftige Statur. Man kann ihn sich gut als Rumpelstilzchen vorstellen, das um ein Feuer springt. Sein Gang hat etwas Hüpfendes an sich. Er lebt in den Bergen bei Koriyama mit seinem halb gelähmten Vater. Er töpfert und für seinen Holzofen zum Ton Brennen spalte ich täglich vier Stunden lang Holz. Jede Stunde ruft er mich zum Tee in die Töpferstube, denn zu viel Arbeit ist nicht gut, sagt er.

Wie gesagt, er ist ein Zen-Mönch. Beim Gedanken, eine Woche mit einem Zen-Mönch zu leben, schlagen Backpackerherzen höher und ihre Stimmen schlagen in höhere Tonlagen aus. „How cool is that, you are going to live with a zen monk“ kreischen Backpacker bei meiner Antwort auf eine der Backpackerstandardfragen. Dabei betonen sie das Wort „live“ als würde es einen heiligen, sakralen Gegenstand bezeichnen. Die Standardfrage lautet- „Where are you hittin` next?“ Es ist immer das Gleiche – Woher kommst du, wie lange reist du schon, wie oft bist du schon gereist, wo warst du überall schon, wohin gehst du als nächstes??? Nach diesen Kriterien wird man in die Backpackercoolnesshierarchie eingeordnet. Schließlich muss man gleich in sein Raster einspeichern, mit wem man es zu tun hat.

Aber was macht ein Zen-Mönch eigentlich aus und was tut er so den lieben langen Tag? Was unterscheidet ihn von anderen Menschen? Zen? – Da entspricht doch das Sein dem Nicht-Sein, Leere ist das Ziel. Das klingt rätselhaft, geradezu mystisch, kaum fassbar und daher wohl reizvoll für ganze weltoffene moderne Generationen.

Buddhistische Mönche sind doch die Männer in orangefarbene Tücher gewickelt, barfuss, kahlköpfig, seliges Lächeln auf den Lippen, weise und bescheiden…

Was wir meistens nicht wissen, ist, dass es Nord- und Südbuddhismus gibt. Im Nordbuddhismus dürfen Mönche sehr wohl heiraten, Kinder und sonstige Besitztümer haben. Japan liegt im Norden, hat also Nordbuddhismus und deshalb hat mein Zen-Mönch einen großen silbernen Fernseher, ein silbernes Motorolla-Aufklapp-Handy, an dem eine kleine Buddhafigur baumelt, ein großes komfortables Haus mit guter Isolation, einen elektrischen Massagesessel und einen silbernen Honda wie viele Japaner. Gehen wir einkaufen, sieht sein Auto aus wie die anderen zwanzig Autos auf dem Parkplatz und wir haben Schwierigkeit das Auto nach getätigtem Einkauf wieder zu finden.

Über den großen silbernen Farbfernseher schaut mein Mönch sich gerne Videos an. Dokumentationen über eine Katzensauna auf Hokkaido, Fernsehbeiträge über seine Werkstatt und Töpferarbeit. Aber besonders gerne zeigt er das Video wie unter Michael Jacksons Anleitung das Lied „We are the world“ in den 80er Jahren entstand. Alle Stars wie Bruce Springsteen (der Mönchliebling), Cindy Lauper mit gelbem Haar, Tina Turner und viele andere wollten mit diesem Lied auf die Armut und die Missstände in der Welt aufmerksam machen. Das ist ganz nach dem Geschmack meines Mönches: berühmte Menschen und gute Taten. Er kann das Video auswendig, spricht besonders gerne Bruce Springsteens Sätze mit und starrt zum Hunderten mal verträumt auf seine Vorbilder.

Er hat eine Ex-Frau, zwei Kinder, seine Tochter tanzt zu Hip-Hop, und eine Katze namens PuPu. Er isst gerne Schokolade, trinkt viel Kaffee, mag Sonderangebote im Supermarkt, meditiert selten, schon gar nicht täglich, es sei denn sein Wwoofer möchte gerne. Manchmal fährt er nach Myanmar oder Thailand, dann geht er für zehn Tage in ein Kloster zur Vipassana-Meditation. Als ich ihm Fotos von zu Hause zeige, möchte er das Bild meiner Mutter gar nicht mehr aus der Hand legen, so schön findet er sie.

Er mag den Südbuddhismus lieber, findet, dass alle Nordbuddhisten keine wahren Buddhisten sind und dass japanische Mönche Idioten sind, weil sie nur Geld, Ehre und Frauen im Sinn hätten. Er schließt sich selbst da nicht aus. Er scheint nicht viel vom japanischen Zen zu halten, mein kleiner Zen-Mönch, der nur zu offiziellen Zeremonien sein Mönchsgewand anlegt. Ich frage, warum er dann nicht Südbuddhist wird. „Because I like women.“ Was für ein Mönchsdilemma.

Er zeigt mir ein Video, eine Fernsehdokumentation über den Haupttempel seines Ordens. Mönchsbilder flimmern über den National-Bildschirm – 150 kahlköpfige Gestalten in schwarzen Gewändern sitzen in Reih und Glied, murmeln Sutren im Halbdunkeln. 15 Stunden täglich wird meditiert, Gesicht zur Wand, alle in einer Reihe, Pausen gibt es nur für die schmalen Tagesrationen Essen und für Klogänge. Hinter der Meditationsreihe läuft ein Glatzkopf in Schwarz mit Rute in der Hand Patrouille, schlägt den Mönchen mit der Rute auf die rechte Schulter, wenn sie eindösen oder an etwas denken. Bei der Zen-Meditation wird an Nichts gedacht. Die Rute surrt durch die Luft, wenn jemand an etwas denkt, landet mit hartem Schlag auf rechten Schultern. Der Eingedöste faltet die Hände, dankt dem Schläger mit Verbeugung.

Nach dem Frühstück wird das Kloster im Fastforward-Modus geschrubbt. Die Mönche wetzen auf Knien die Gänge entlang, polieren im Sprint Holzwände und -böden. Es gleicht einem Militärlager mit mystisch okkulter Atmosphäre. Drei mal war mein Mönch je sieben Tage in diesem Meditationslager. Er scheint es nicht besonders genossen zu haben, nicht viel davon zu halten. Ab und zu allerdings zieht ihn sein inneres Dilemma, sein Zwiespalt zwischen Sein und Sollen zurück in dieses Kloster.

Das also ist Zen – das Nichts bei Schlägen im Kloster lernen und zu Hause Luxus im Eigenheim, das Sein.

Streicht man einmal den Gedanken, dass mein Gastgeber ein Mönch ist und sich im inneren Kampf zwischen Sein und Sollen windet, ist er ein sehr angenehmer Zeitgenosse. Er unterrichtet mich im Töpfern, was auch sehr meditativ ist, lästert über seine Ordensbrüder, interessiert sich fürs Reisen und für andere Kulturen. Er befragt jeden Tag sein Herz, was das Richtige ist, weil Buddha das lehrte, und hält sich nicht jeden Tag daran, was sein Herz sagt. Ein Mensch wie du und ich, eine ordentliche Portion Humor und vielleicht ein bisschen strahlendere Augen als andere Menschen.

Wieso nur meinen wir immer, ein Mönch müsse all das richtig machen, was wir nicht schaffen?

Er zeigt mir die Gegend, stellt mir seine Freund vor, ist sichtlich stolz, wie viele tolle Menschen er kennt. Wir treffen ehemalige Olympiasieger, sprechen deutsch, englisch, französisch und japanisch mit ihnen. Irgendwann kann ich keine dieser Sprachen mehr sprechen, nicht einmal mehr meine Muttersprache. Wir schweigen. Dazu gibt es eingelegte Datteln, Kombucha und japanischen Tee vom altdeutsch bemalten Eichentisch und Fotos der Enkelkinder. Wir machen ein Gruppenfoto mit der kleinen silbernen Mönchskamera und fahren gemeinsam zur Entspannung ins japanische Badehaus. Zwischen alten, schrumpeligen Japanerinnen dampfe ich im 45-Grad-Wasser, mein Kopf brodelt „Das ist Zen, das ist Mönchsleben. Wer hätte das gedacht?“

Als ich den kleinen weltlichen Mönch verlasse, im Bus zurück nach Tokio sitze, habe ich eine Bruce Springsteen CD im Gepäck und denke ‚ganz schön weise der buddhistische Töpfermeister’. Ich weiß nicht, wieso ich das denke. Er hat nichts Weltbewegendes gesagt, oder getan, keine Weisheiten verbreitet. Er ist wie du und ich und doch ein bisschen anders. Vielleicht muss man nicht unbedingt enthaltsam im Lotussitz der Erleuchtung entgegen meditieren, um Mönch zu sein. Etwas strahlendes in den Augen, etwas weises, naives, kindliches, erwachsenes, trauriges, glückliches, reifes, ein Rumpelstilzchen, das meine Mutter heiraten möchte, gerne Südbuddhist wäre, aber Frauen zu gerne mag, lebt bei Koriyama in den Bergen und glaubt an die Erleuchtung. Ein Widerspruch vom Feinsten: Sein ist Nicht-Sein, wenn das nicht Zen ist…

(Text von Carina Pesch, Bild von Fumio Ito)